Um in Bolivien eine demokratische Wahl zu gewinnen, versprechen die Politiker gern das, was das „Volk“ hören möchte. Dabei ist es natürlich hilfreich, wenn sie die Menschen dazu bringen, das zu verlangen, was sie ihnen selbst eingeben. Durch das Schüren von negativen Emotionen wie Neid oder Angst, verknüpft mit dem Versprechen (nach der Wahl) für die sozialen Notwendigkeiten zu sorgen, versuchen sie, die Gunst der Wählerinnen und Wähler zu gewinnen. Leider wird die Leichtgläubigkeit der Menschen dabei nur allzu oft ausgenutzt.
Die aktuell zunehmend emotional und spalterisch geführten politischen Debatten belasten Familien und Freundschaften und vergrößern die Kluft zwischen den verschiedenen Volksgruppen. Hier setzt Franziskanerbruder Carmelo Galdós, zusammen mit seinem Team des „Franziskanischen Dienstes für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“, in Bolivien an. Sie versuchen, in politischen Bildungsveranstaltungen den gegenseitigen Respekt zu stärken und den Menschen eine politische Mündigkeit zu vermitteln. Eine ihrer Aufgaben ist es, mit den Menschen über Ehrlichkeit in der Politik zu reflektieren und ihnen die christlichen Werte von Gerechtigkeit und Frieden zu verinnerlichen.
Lob und Kritik
Diese Arbeit ist gerade heute sehr wichtig, denn in der bolivianischen Politik ging es im letzten Jahr turbulent zu: Entgegen der Verfassung erstritt sich der langjährige Präsident Evo Morales 2019 das Recht, für eine weitere Amtszeit zu kandidieren. Es steht außer Frage, dass Präsident Morales und seine Partei „Movimiento al Socialismo“ (MAS) viel für Bolivien geleistet haben: Erstmals wurden auch den indigenen Gemeinschaften weitreichende Selbstbestimmungsrechte eingeräumt. Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen der Bevölkerung vervielfachte sich von 961 US-Dollar im Jahre 2005 auf 2.392 US-Dollar in 2017. Die extreme Armut ging über 20 Prozent zurück. Mit nur 1,5 Prozent hatte Bolivien die zweitniedrigste Inflationsrate aller südamerikanischen Länder. Und im März 2019 trat ein landesweites Programm zur kostenlosen Gesundheitsversorgung der gesamten Bevölkerung in Kraft.
Aber es gab auch viel Kritik an der Regierung. Dabei waren die Landenteignung gegenüber ehemaligen Eliten, die grassierende Korruption und der verfassungswidrige Versuch der Machterhaltung des Präsidenten alltäglich Themen. Die Politikverdrossenheit vieler verstärkte sich und gleichzeitig nahmen die Spannungen innerhalb der Bevölkerung zu.
Franziskanerbruder Carmelo Galdós hatte diese Situation beobachtet und sich zum Handeln entschieden. Der „Franziskanische Dienst für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung« definiert sich selbst auch als politisch, legt aber Wert darauf, eine unabhängige Kraft zu sein. Sie setzen sich nicht für einen Kandidaten oder eine Partei ein, sondern ermutigen die Menschen, zur Wahl zu gehen, und erklären ihnen die Bedeutung und Redlichkeit der verschiedenen Parteiprogramme. Angeboten werden regionale Versammlungen und Tagungen, bei denen jeweils Experten zu dem Thema „Glaube und Politik“ sprechen. Im letzten Jahr wurden 24 dieser Angebote in acht Städten Boliviens durchgeführt. Bei einer Teilnehmerzahl von rund 80 bis 250 Personen pro Veranstaltung konnten auf diese Weise viele Menschen erreicht werden.
Tag der Ehrlichkeit
Zusätzlich findet seit 2003 an jedem 17. August der „Tag der Ehrlichkeit“ statt. Dieser wird durch die Franziskanische Bewegung von einer großen Pressekampagne begleitet. Den ganzen August hindurch werden dabei landesweit Radiobeiträge und Fernsehauftritte zum Thema organisiert und durchgeführt. Überall werden Plakate aufgehängt und Flyer verteilt. Auch werden Schulen, Universitäten und Verbände besucht. Rund 5.000 Menschen konnten Carmelo Galdós und sein Team so ganz direkt und persönlich ansprechen. Im ganzen Land sind es zurzeit 115 Ehrenamtliche, die sich im „Franziskanischen Dienst für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ engagieren. Drei hauptamtliche Sekretärinnen übernehmen zusammen mit Carmelo Galdós die Organisation.
Welche Reichweite hat ihre Botschaft? Ist es genug Anstrengung, um die Bevölkerung gegen politische Lügen und Populismus zu impfen? Das ist schwierig zu sagen, obwohl sie zunächst viel Beifall erhielten. Aber wie weit die Botschaft Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung letztendlich im Bewusstsein der Menschen angekommen ist, wird sich erst langfristig zeigen.
Mit der Unterstützung der Franziskaner Mission in München werden Bruder Carmelo und sein Team auch im kommenden Wahlkampf in Bolivien wieder aktiv dabei sein, mit ihrer Aufklärungskampagne und ihrem Einsatz für eine ehrliche Politik
Erstveröffentlichung Zeitschrift Franziskaner Mission 2020 / 1