Pater Cornelius Bohl

Alltag

Pater Cornelius Bohl ofm

„Alltag“ – wie klingt dieses Wort für Sie? Es hat ja oft einen negativen Beigeschmack. Der sprichwörtliche „graue Alltag“ ist langweilig und mühsam zugleich: Es ist halt immer dasselbe. Die ewige Wiederholung stumpft ab, macht müde und laugt aus. Wer auch immer das gesagt hat, er oder sie hat Recht: „Eine Krise kann jeder Idiot haben. Was uns zu schaffen macht, ist der Alltag.“ Da hat man manchmal einfach keine Lust und keine Kraft mehr, wünscht nichts sehnlicher als Abwechslung und einen „Kick“, möchte eben einfach einmal raus aus dem Alltag.

Alltag hat für mich aber auch noch eine andere Seite. Auch das erfahren wir ja: Nichts ist schwerer zu ertragen wie eine Reihe von guten Tagen. Alltäglichkeit kann etwas sehr Heilsames und Kostbares sein. In diesen Wochen denke ich oft: Die Menschen in der Ukraine wünschen sich vielleicht nichts so sehr zurück, wie einen ganz normalen Alltag – auch mit den üblichen Auseinandersetzungen in der Familie, dem gewohnten Ärger über einen Nachbarn oder eine Arbeitskollegin und den kleinen Wehwehchen, die einfach dazu gehören. Und wie viele Kranke im Krankenhaus hoffen sehnlichst, möglichst schnell wieder in ihren normalen Alltag zurückkehren zu können.

Der gewohnte Rhythmus des Alltags kann beruhigen und entlasten. Er hat etwas Verlässliches, ja Tröstliches, und verleiht eine gewisse Sicherheit. Wie wertvoll ganz alltägliche Abläufe sind, merken wir manchmal erst dann, wenn sie uns fehlen: vielleicht die Tasse Kaffee und der erste Blick in die Zeitung am Morgen, die gewohnten Wege zur Arbeit, zum Bäcker oder zum Kindergarten, die kleinen Neuigkeiten von Freunden über WhatsApp, die Wochenendplanung in der Familie. Die beiden Jesuiten Hans Schaller und Dominik Terstriep haben schon vor ein paar Jahren ein schönes Büchlein verfasst mit dem Titel „Vom Segen in alltäglichen Dingen“. Der unscheinbare und völlig unspektakuläre Alltag kann der Acker sein, in dem ich die entscheidenden Schätze für mein Leben entdecke: Treue, Verlässlichkeit, Geborgenheit, die Ahnung von Sinn. Gerade in meinem Alltag ist auch Gott verborgen. Ganz überraschend blitzt manchmal im Normalen und Gewohnten etwas von ihm auf. Alltäglichkeit muss nicht anöden. Sie tut oft gut. Alltag kann tief dankbar machen.

Das ist auch ein wichtiger Aspekt vieler unserer Projekte in der Franziskaner Mission: Menschen mitten im Chaos und im Kampf ums Überleben wenigstens ein kleines Stück guten, normalen Alltag zu ermöglichen. Den erfahren etwa die jungen Menschen, die in Cochabamba das von unserem Mitbruder Anselmo geführte Tagesheim besuchen. Wo Armut, Hunger und Gewalt grausame „Normalität“ sind, erleben die Kinder ein Stück Himmel auf Erden, wenn sie dort ganz einfach in Ruhe ihre Hausaufgaben machen können, miteinander spielen und etwas zu essen bekommen. Was uns so normal und alltäglich vorkommt, ist dort etwas ganz Besonderes! Auch die von den Franziskanerinnen in Concepción initiierten Frauengruppen haben dieses Ziel: Sie wollen die Mütter befähigen, ihren Kindern einen einigermaßen geschützten und sicheren Alltag zu ermöglichen. Über beide Projekte informieren Sie die beiliegenden Projektkarten. Wenn Sie den Kindern in Cochabamba und den Frauen und ihren Familien in Concepción helfen wollen, etwas „vom Segen in alltäglichen Dingen“ zu erfahren, sind wir Franziskaner Ihnen sehr dankbar!

Jetzt in den Sommerwochen machen viele Menschen mit ihren Familien oder Freunden ein paar Tage Urlaub. Vielleicht auch Sie. Es tut gut, ab und zu einmal den Alltagstrott hinter sich zu lassen, in einer anderen Umgebung zur Ruhe zu kommen und wieder neue Kraft zu schöpfen – für den Alltag! Urlaub ist das Außergewöhnliche. Das Gewöhnliche ist der Alltag! Und der ist kostbar, auch schon allein deswegen, weil der größte Teil meines Lebens eben aus Alltäglichkeit besteht.

„Wenn dein Alltag dir arm scheint, klage ihn nicht an. Klage dich an, dass du nicht stark genug bist, seine Reichtümer zu rufen.“ (Rainer Maria Rilke) Ich wünsche Ihnen beides: Immer wieder die Möglichkeit, einmal dem gewohnten Alltag zu entkommen, um dann aus dem Abstand heraus zu erfahren, welche Reichtümer gerade auch der Alltag birgt.

Vielen Dank für Ihr Interesse an unserer weltkirchlichen Arbeit in Bolivien und in vielen anderen Ländern der Erde, für Ihr Gebet und für Ihre Unterstützung.

 

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