Liebe Freundinnen und Freunde der Franziskaner Mission,
kennen Sie Tina? Nein, das ist nicht nur ein Frauenname. Das Buchstabenkürzel steht auch für den englischen Satz There is no alternative – „Es gibt keine Alternative!“ Tina begegnet oft in der Politik: Wer eine bestimmte Position durchsetzen, ein Projekt verwirklichen möchte, stempelt es gerne als „alternativlos“. Ich kenne das allerdings auch bei mir selbst in meiner kleinen Welt: Nach langem Hin und Her muss ich mir selbst manchmal sagen: Trotz aller Bedenken, mir bleibt letztlich gar nichts anderes übrig, als mich jetzt so zu entscheiden. Die Umstände zwingen mich dazu. Mir sind die Hände gebunden. Es gibt keine Alternative!
Manchmal ist da so. Aber nicht immer. Wenn ich ehrlich bin, merke ich: Das ein oder andere kann ich so machen – oder auch ganz anders. Bisher habe ich bestimmte Wege immer mit dem Auto zurückgelegt, das ist praktisch und spart Zeit – aber ich könnte durchaus auch öffentliche Verkehrsmittel benutzen oder sogar dann und wann zu Fuß gehen. Jemand weiß, dass er zu viel arbeitet, zu viel Alkohol konsumiert, zu wenig Zeit mit seiner Familie und zu viel Zeit im Internet verbringt, das sind inzwischen feste Gewohnheiten, etwas daran zu ändern, wäre sehr mühsam – aber deswegen ist es nicht unmöglich. Es mag bequem sein, eine lang gepflegte Antipathie einfach fortzusetzen und einem Menschen konsequent aus dem Weg zu gehen – aber es ist durchaus möglich, noch einmal einen Schritt auf ihn zuzugehen und einfach zu fragen: Wie geht es Dir? Wer es schafft, sich so einen inneren Ruck zu geben und einmal etwas Neues auszuprobieren, erwischt sich dann vielleicht dabei, wie er erstaunt zu sich selbst sagt: Na bitte, geht doch! Mehr noch: Es hat sogar einen gewissen Reiz, die Palette der Möglichkeiten und damit seinen Handlungsspielraum zu erweitern. Wenn man nur zwei Möglichkeiten hat, scheint eine davon leicht alternativlos. Aber vielleicht gibt es ja nicht nur schwarz oder weiß, sondern auch rot oder gestreift und plötzlich die überraschende Einsicht: Mensch, es geht ja auch anders!
Nein, ich kann nicht alles ändern. Es gibt Sachzwänge. Oft stehen wir einer Situation vollkommen hilflos und machtlos gegenüber. Aber gerade als Christ möchte ich mutig und kreativ ausloten, was eben auch anders geht, und dies dann wenigstens versuchen. Das gilt nicht nur für mein kleines persönliches Leben. Ich weiß nicht, wie die Lage in der Ukraine und auf der weltpolitischen Bühne aussieht, wenn dieser Brief Sie erreicht. Ist die Logik des Krieges und der Waffen, die zwangsläufig zur Eskalation führt, alternativlos? Oder gelingt es der Diplomatie, in mühsamen Gesprächen andere Möglichkeiten auszuloten?
Es geht auch anders! Ich denke da auch an die weltkirchliche Arbeit von uns Franziskanern. Die Versuchung ist oft groß, resigniert die Hände in den Schoß zu legen und zu sagen: Wir können doch nichts ändern! Unsere Schwestern und Brüder in aller Welt, die wir in ihrer Arbeit unterstützen, tun das nicht. Ihre konkreten Projekte zeigen, dass man durchaus etwas anders machen kann. Die beiliegenden Informationskarten stellen wieder zwei solcher Projekte vor, die Suppenküchen für Kinder, die unsere Brüder in Cochabamba in Bolivien betreiben, und aus aktuellem Anlass die Hilfe für Menschen in der Ukraine, die Opfer des brutalen russischen Angriffskriegs wurden. Auch hier versuchen unsere Brüder zu helfen, wo sie helfen können. Wenn Sie unsere Arbeit unterstützen, mit Ihrem Interesse, Ihrem Gebet oder auch mit einer finanziellen Spende, dann sind wir Ihnen von Herzen dankbar!
Wir gehen auf die Karwoche und auf Ostern zu. Wer das Schicksal Jesu von außen betrachtet, wird sagen: Typisch, aber so funktioniert leider unsere Welt! Da kommt jemand, um gerade die Armen und Notleidenden die besondere Nähe Gottes erfahren zu lassen, und wird von den Mächtigen umgebracht. Propheten, die zur Umkehr rufen, sind unbequem und störend und werden ausgeschaltet. Brutale Macht und Gewalt setzen sich durch, die Kleinen und Schwachen bleiben auf der Strecke. Ja, leider, so ist das oft! Jesus aber steigt aus den üblichen Spielchen aus: Als er abgelehnt wird, zieht er sich nicht schmollend zurück. Als er angegriffen wird, schlägt er nicht zurück. Als sie ihn ans Kreuz schlagen, gibt er sich nicht geschlagen und gibt seine Sendung nicht auf. Im Gegenteil, er hält seine Treue zum Vater und seine Liebe zu uns durch und macht sein Leiden und seinen Tod zum größten Erweis dieser Liebe! Es geht auch anders! Das bleibt die Provokation und die Hoffnung von Ostern: Hass und Tod sind nicht alternativlos! Stark wie der Tod ist die Liebe. Und der Tod hat eben nicht das letzte Wort.
Ich wünsche Ihnen nicht nur gesegnete Kar- und Ostertage. Ich wünsche Ihnen wie mir vor allem mitten im Alltag immer wieder ein Stück Erfahrung von Ostern: Wo sich in festgefahrenen Gleisen ganz unverhofft neue Möglichkeiten auftun, wo mitten in den vielen Zwängen plötzlich etwas von Freiheit spürbar ist, wo ich irgendwo in meinem Leben überrascht feststelle: Mensch, hier ist ja gar nicht alles so alternativlos, wie ich dachte, es geht ja auch ganz anders! – da wird etwas von Ostern lebendig.
Nochmals vielen Dank für Ihr Interesse an unserer Arbeit und herzliche Grüße aus München
Ihr P. Cornelius Bohl ofm
Provinzial der Deutschen Franziskanerprovinz