Provinzialminister Cornelius Bohl

Ois wurscht?

Unser Kloster in München liegt unweit des Englischen Gartens. Dort habe ich vor einiger Zeit auf einer Bank ein kleines Messingschildchen entdeckt: „In den unendlichen Weiten des Universums is ois wurscht“, steht da zu lesen. Ich bin kein Bayer, aber das habe ich sofort verstanden: „… da ist alles wurscht“, alles egal.

Plakette einer Parkbank im Englischen Garten in München. Bild von Cornelius Bohl ofm.

Auf den ersten Blick irgendwie witzig. Aber dann sofort verwirrend: Stimmt das vielleicht? In meiner kleinen Welt, in der sich alles um mich dreht, bin ich selbst wichtig und ununterbrochen mit ganz wichtigen Dingen beschäftigt. Erst recht werden Gesellschaft und Weltpolitik von drängenden Fragen umgetrieben, die über das Schicksal von Menschen und die Zukunft ganzer Völker entscheiden: die Pandemie, Millionen Menschen auf der Flucht, Spannungen zwischen Russland und der Ukraine …

Was aber passiert, wenn ich auch nur für einen Augenblick die Perspektive wechsle und mir unseren blauen Planeten als winziges Pünktchen vorstelle, das im „Schweigen der unendlichen Räume“ (Blaise Pascal) verschwindet? Wo sind dann all die Wichtigkeiten? Wen kümmern meine kleinen Sorgen? Wen kümmert das Los eines einzelnen Menschen? Die Frauen, Männer und Kinder, die mit brutaler Gewalt von den Außengrenzen Europas weggestoßen werden? Die Opfer des Taifuns auf den Philippinen? Die über 50 Migranten, die, in einen LKW gepfercht, in Mexiko bei einem Unfall ums Leben kamen? Irrt der Mensch nicht wirklich verloren durch das Universum, „das für seine Musik taub ist und gleichgültig gegen seine Hoffnungen, Leiden oder Verbrechen“ (Jacques Monod)? Ist da nicht ois wurscht?

Solche Gedanken erschrecken mich. Vielleicht ist es ja wirklich so: Letztlich is ois wurscht … Gleichzeitig merke ich, wie sich in mir etwas wehrt: Nein, es ist nicht ois wurscht! Ich kann und will das nicht glauben. Es ist nicht egal sein, ob ein Kind liebevoll begleitet oder missbraucht wird. Es ist nicht egal, ob jemand Zuwendung erhält bis zuletzt oder einsam stirbt. Und noch etwas erschreckt mich: Wenn ois wurscht ist, dann ist auch Gott nur eine Wunschvorstellung. Ausschließen kann ich das nicht. Ich weiß nicht, ob es ihn gibt. Aber aus diesem Schauder heraus blitzt für mich plötzlich etwas vom Geheimnis von Weihnachten auf: Ich glaube, dass Gott da ist. Dass ihm nicht ois wurscht ist. Dass er Interesse hat an uns und deswegen selbst Mensch geworden ist. Dass er sich einmischt in diese Welt und leidenschaftlich engagiert.

Franz von Assisi möchte in Greccio „so greifbar als möglich die bittere Not sehen, die Jesus schon als kleines Kind zu leiden hatte“. Wäre Franziskus in München geboren, hätte er vielleicht vor der Krippe staunend gestammelt: „Dir ist nicht ois wurscht!“ Und darum ist auch für ihn selbst nicht ois wurscht. Denn dann hätte er im Geschäft seines Vaters bleiben können. Aber das tut er eben nicht. Als er den Aussätzigen begegnet; als er eine Kirche erlebt, die weit weg ist vom Evangelium; als er auf Menschen und ganze Stadtgesellschaften trifft, die verfeindet sind – da sagt er eben nicht: Mir doch egal! „Mir ist ois wurscht!“ – es gibt wohl kaum einen Satz, der weniger zu Franziskus passen würde!

Wir feiern wieder Weihnachten. Feiern ist wichtig. Mindestens ebenso wichtig aber ist es, Weihnachten zu leben, und zwar jeden Tag. Wer weihnachtlich lebt, dem ist nicht ois wurscht. Weihnachtlich leben bedeutet: sich interessieren, sich einmischen und tun, was möglich ist, gerade auch im Kleinklein des Alltags. Es gibt nicht nur eine globale Gleichgültigkeit, von der der Papst so oft spricht, sondern auch eine sehr konkrete lokale Gleichgültigkeit im engsten Umfeld. Und dann heißt weihnachtlich leben manchmal auch: wütend werden, Enttäuschung zugeben, Trauer zulassen, eben weil nicht alles egal ist.

Mag sein, dass dem Universum ois wurscht ist. Gott jedenfalls nicht. Und uns hoffentlich auch nicht. In diesem Sinn wünschen wir Franziskaner Ihnen ein gesegnetes Weihnachtsfest!

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