Die Frau auf der Titelseite dieser Ausgabe der Franziskaner Mission heißt Señora Manuela. Ihr Gesicht steht für ihre persönliche Biographie, mit allen Facetten eines langen Lebens. Señora Manuela ist eine sehr gläubige Christin aus dem bolivianischen Concepción. Als Leibeigene eines Großgrundbesitzers hat sie viel durchleiden müssen. Heute spricht ihr ausgeglichener Blick, wie der einer weisen Prophetin, den jüngeren Generationen Mut und Entschlossenheit zu. Im alttestamentlichen Buch Deuteronomium heißt es ja: „Denk an die Tage der Vergangenheit, lerne aus den Jahren der Geschichte! […] Frag die Alten, sie werden es dir sagen.“
Dieser Einladung folgt auch Jesus. Als gläubiger Jude geht er in seiner Heimatstadt Nazaret am Sabbat in die Synagoge. Man reicht ihm die Thorarolle und er trägt den Anfang des 61. Kapitels aus dem Buch des Propheten Jesaja vor. Jesus stellt sich ausdrücklich in die Tradition der Propheten: „Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben. Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen.“ Vom Propheten Jesaja übernimmt Jesus hehre Ziele: Armen die frohe Botschaft bringen, Gefangenen die Entlassung verkünden, Blinden das Augenlicht schenken, Zerschlagene in Freiheit setzen und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufen. Nach dieser prophetischen Verkündigung schließt Jesus mit den Worten: „Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt.“ (Lk 4,21) Also kommt es dann zur Erfüllung von Prophetenworten, wenn nachfolgende Generationen diese aufgreifen, sich damit identifizieren und sie zu ihren eigenen Lebenszielen erklären.
Man könnte eine solche Tradition mit einem Stafettenlauf vergleichen. Gottes Wille verhallt nicht ungehört, sondern wird mutig und dynamisch weiter gegeben. Ein konkretes Beispiel heute ist Señora Manuela. Sie ruft uns allen zu: Nur Mut! Sie hofft, dass auch wir entschieden prophetisch leben wollen, so wie die Propheten im Alten Testament, wie Jesus Christus, wie Klara und Franziskus von Assisi, wie mahnende Stimmen gegen Populismus und Fake News. Die Thorarolle zieht sich, wie ein roter Faden, durch diese Ausgabe. Ob in Deutschland, Bolivien, Uganda, Brasilien, im Kongo, in Vietnam oder Indien – viele franziskanischklarianische Menschen belegen durch ihr Handeln, dass sie sich in die Tradition der Propheten gestellt haben und so dem Beispiel Jesu folgen. Gerade in Krisenzeiten ist es inspirierend und ermutigend, von vielen Orten der Welt zu hören, dass Gottes Wille nicht nur verkündigt, sondern auch heute noch verwirklicht wird.
Propheten sind Frauen und Männer, die aus einer klaren Entscheidung heraus leben: Sie kämpfen im Bewusstsein ihrer Verantwortung vor Gott für die Würde des Menschen, für Gerechtigkeit und Wahrheit. Und sie erheben prophetischen Widerspruch, wo Menschen ausgegrenzt, unterdrückt, ausgebeutet und missbraucht werden. Sie sagen klar „Ja“ und ebenso klar „Nein“. Sie legen ihren Finger in die Wunden einer Zeit und decken Lügen auf.
Die Zeitschrift Franziskaner Mission liegt in gedruckter Form in allen Klöstern und Werken der Deutschen Franziskaner aus und wird an mehr als 35.000 Spenderinnen und Freunde der Franziskaner verschickt.
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