Dr. Ute Glock

Ein Speiseplan für die Guarayos

Auf einem unserer Wanderungen durch das Dorf Ascensión de Guarayos treffen wir Pablito. Er ist ungefähr fünf Jahre alt. An einem grob zusammengehauenen Holztisch löffelt er Wasser aus einer blauen Tasse und knabbert an einem trockenen Brötchen. Angesichts dieser kargen Mahlzeit kann er nicht zufrieden wirken. Wir hoffen, dass es heute nicht seine einzige ist.

Projekt gegen die Mangelernährung von Indigenen in Bolivien

Pablito bei einer kargen Mahlzeit. Foto von Ute Glock

Die körperliche, geistige und seelische Gesundheit ist unter anderem von einer ausgewogenen Ernährung abhängig. Der Mensch braucht Eiweiß, Fett, Vitamine und Mineralien, um den komplexen Stoffwechsel des menschlichen Organismus aufrechtzuerhalten. Kohlenhydrate sind wichtige Energielieferanten, und ohne Wasser funktioniert nichts.

In Entwicklungsländern ist eine gesunde Ernährung nur den wohlhabenden Menschen vorbehalten. In Bolivien beispielsweise leben rund 60 Prozent der Menschen unterhalb der Armutsgrenze, sie können sich die nötigen Lebensmittel nicht leisten. Hinzu kommen Unwissenheit, und auch kulturelle Gewohnheiten stehen einer vielfältigen und gesunden Kost entgegen. Viele begnügen sich mit den leicht verfügbaren Kohlenhydraten wie Reis, Maniok, Kochbananen. Gemüse und Früchte lassen sie in aller Regel weg. Sauberes Trinkwasser kommt selten aus dem Wasserhahn. Das Wasser aus dem Fluss oder Brunnen oder aus Wasserlöchern ist oftmals verunreinigt und ein zusätzliches Gesundheitsrisiko.

Kinder leiden Hunger

Am stärksten betroffen sind kleine Kinder zwischen dem Säuglingsalter und dem fünften Lebensjahr. Während dieser Zeitspanne braucht der junge Organismus eine mit allen Nährstoffen ausgewogene Ernährung, weil in dieser Zeit die Grundlage für die lebenslange allgemeine Gesundheit, das Wachstum und die neurologische Entwicklung gelegt wird. In Bolivien gelten landesweit circa 25 Prozent der Kinder dieser Altersgruppe als mangelernährt. Für sie bedeutet das einen schwereren Verlauf der sogenannten Bagatellerkrankungen wie Infekte, Durchfälle, Atemwegserkrankungen bis hin zu bleibenden Schäden oder dem Tod. Aufgrund des dauerhaften Eiweißmangels bleibt die Entwicklung des Gehirns zurück. Es kommt zu allgemeinen Entwicklungsverzögerungen der Kinder, die dann entweder lernschwach sind oder wegen einer mentalen Behinderung die Schule nicht erfolgreich abschließen können. Sind die Schäden bis zum fünften Lebensjahr nicht aufgeholt, bleibt den Kindern eine gerechte Zukunft verschlossen. Die Region Guarayos mit ihren rund 50.000 hauptsächlich indigenen Bewohnern ist von der Mangelernährung noch härter betroffen. Hier leben circa 80 Prozent der Menschen in bitterer Armut und in unvorstellbaren Verhältnissen ohne Strom, fließendes Wasser und ohne Kanalisation. Hier geht man sogar von rund 35 Prozent mangelernährter Kinder aus. Theoretisch hat der Staat die Aufgabe, dem Problem der Mangelernährung entgegenzuwirken. Er stellt den Gemeinden sogar Lebensmittel zur Verfügung. Nur fehlt die Logistik, um die Bedürftigen auch zu erreichen.

Erfolgreiches Hilfsprojekt

Vor rund 20 Jahren haben sich deshalb die Tertiarschwestern mit ihrem Projekt »Santa Clara« diesem Problem angenommen. Nach einem etwas holprigen Anfang ist es gelungen, ein etabliertes, mehrdimensionales Programm aufzubauen. Die Leiterin Yanira Leida Justiniano Ortiz HTSF besucht seit vielen Jahren systematisch Familien draußen im Dorf in ihren Hütten, um sich ein Bild vom Ernährungszustand der kleinen Kinder zu verschaffen. Immer wieder findet sie Säuglinge und Kleinkinder mit ihrem fragilen Körperbau, ihrem typisch hohen Haaransatz und dem traurigen Gesichtsausdruck. Oft können die Mütter nicht lange genug stillen, weil sie sich selbst schlecht ernähren oder aus einem Erschöpfungszustand nicht herauskommen. Eine Ernährungsalternative kennen sie nicht, sodass auf irgendwelche Brühen oder Reiswasser ausgewichen wird.

Diese Risikokinder werden dann mit ihren Müttern in die Sprechstunde ins Zentrum eingeladen, wo die Vorgeschichte erhoben und das aktuelle Gewicht im Verhältnis zur Körpergröße der Kinder dokumentiert wird. Von jetzt an wird die Mutter in regelmäßigen Kursen über eine altersgemäße Ernährung aufgeklärt und ihr die Zubereitung eiweißhaltiger Kost auf der Basis von Soja vermittelt. Die Sojabohne ist ein Lieferant von wertvollen Proteinen, die dem Proteingehalt von Fleisch sogar überlegen sind. Darüber hinaus ist sie reich an Kohlenhydraten und ist kalorienhaltiger als Fleisch. Bei richtiger Anwendung und in Verbindung mit Gemüse und Früchten gedeihen die Kinder recht schnell bis hin zu ihrem altersentsprechenden Körpergewicht. Die Kochkurse werden auch im Dorf angeboten. Sie werden von den Müttern begeistert angenommen. Die erfolgreiche Arbeit der Schwestern hat sich herumgesprochen, sodass sich inzwischen die Mütter mit ihren Kindern auch vorsorglich im Zentrum vorstellen. Damit wirkt das Projekt sogar präventiv, was uns sehr freut.

Um den kleinen Pablito machen wir uns derzeit keine ernsthaften Sorgen. Er wirkt wohlgenährt und scheint für sein Alter gut entwickelt zu sein. Eine gesunde Ernährung ist ein Grundrecht der Menschen und erst recht das der Kinder. Es braucht Geduld und Ausdauer, der Mangelernährung die Stirn zu bieten, mit allen Möglichkeiten, die diese Region Guarayos trotz Armut zu bieten hat.


Die Autorin Ute Glock ist Kinderärztin aus Büdigen und Gründerin des »Projekt Guarayos«, das sich zusammen mit den Franziskanerinnen um unterernährte und behinderte Kinder in Ascensión de Guarayos in Bolivien kümmert.

Ersterscheinung des Beitrags in der Zeitschrift Franziskaner Mission 2024/3

 

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